Pressemitteilung über „Genital Autonomy 2015“

GenitalAutonomyInternationale Stimmen für genitale Selbstbestimmung in Frankfurt / Main 

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Zwei Tage lang, am 08. und 09. Mai, haben in Frankfurt am Main Fachleute, Betroffene und Aktive unterschiedlichen Geschlechts aus 11 Ländern während der erstmalig in Deutschland ausgerichteten „Genital Autonomy“-Konferenz engagiert verschiedene Aspekte von Eingriffen an den Genitalien sowie der genitalen Unversehrtheit und Selbstbestimmung von Jungen, Mädchen und Intersexuellen diskutiert und neue Netzwerke geknüpft.

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Referent/innen und Teilnehmer/innen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Finnland, der Türkei, USA, Kanada und dem Iran tauschten sich am 08. und 09. Mai im Haus der Jugend in Frankfurt am Main intensiv zum Thema „Genital Autonomy: Myths and Multiple Standards“ aus. Dabei wurde das grundsätzliche Verständnis deutlich, dass Ethik universell ist und daher in Bezug auf das Recht auf genitale Selbstbestimmung nicht nach Alter, Geschlecht, Religion oder Kultur der betroffenen Person differenziert werden kann.

Quelle: intaktiv e.V.

Ein Teil der Referent/innen und Teilnehmer/innen
der Genital Autonomy-Konferenz in Frankfurt am Main.

Der jüdische Referent Shemuel Garber erläuterte die wechselseitige Abhängigkeit von kulturellen, religiösen und medizinischen Rechtfertigungen für die männliche Beschneidung insbesondere aus Sicht der amerikanischen Juden. Den häufig gegenüber Aktivisten für die genitale Selbstbestimmung von Jungen geäußerten Vorwurf des Antisemitismus wies er klar zurück; vielmehr seien Juden in der Bewegung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sogar überrepräsentiert.

Der türkische Autor Kaan Göktaş entkräftete die Legitimation der Vorhautamputation im Islam. Weder werde sie im Koran gefordert, noch gebe es Belege, dass Mohammed oder seine frühen Anhänger und Nachkommen beschnitten worden wären. Da es zudem Koransuren gäbe, die körperliche Modifikationen als sündhaft bezeichneten, hält er die Hadithen zur Beschneidung für nachträglich eingefügt.

Dr. Michel Garenne vom epidemiologischen Institut Pasteur in Paris legte dar, dass es für einen Schutz vor HIV-Infektion durch eine Amputation der Vorhaut keinen Beweis auf demographischer, d. h. gesamtgesellschaftlicher, Ebene gibt. Bei anderen Interventionen wie etwa der Cholera-Impfung habe eine ähnliche Beweislage nicht  für eine Empfehlung durch die WHO ausgereicht.

Susana Rocha Teixeira (Terre des Femmes) machte deutlich, dass die betroffenen Kulturen beim Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung nicht als „anders“ ausgegrenzt werden dürfen und dass auch der Trend zu genitalen Schönheitsoperationen in den Industrienationen thematisiert werden müsse. Im Anschluss an den Vortrag der britischen Psychologin Dr. Ann-Marie Wilson wurde diskutiert, ob weibliche Genitalverstümmelung wirksam bekämpft werden kann, ohne gleichzeitig gegen männliche Genitalverstümmelung vorzugehen, da beiden Praktiken die gleichen psychosozialen Mechanismen zugrundeliegen und die gleichen ethischen Argumente entgegenstehen.

Zum Thema Intersexualität setzte der Film „Intersexion“ u. a. mit der Erklärung von Hida Viloria ein bewegendes Zeichen, dass es das größte Geschenk ihrer Eltern gewesen sei, sie nach der Geburt nicht operativ „normalisieren“ zu lassen. Der deutsch-französische Wissenschaftler Simon Zobel betonte die Variationsbreite der geschlechtlichen Zuordnung und der Formen von menschlichen Genitalien. Angesichts dessen erschien eine Differenzierung des Rechtes auf genitale Selbstbestimmung nach Geschlechtern noch unhaltbarer und geradezu absurd.

Unumstrittener Höhepunkt der Konferenz war jedoch der Vortrag von Mina Ahadi (Zentralrat der Ex-Muslime), die für ihr engagiertes Auftreten für die genitale Unversehrtheit von Mädchen und Jungen im muslimisch geprägten Kulturkreis und ihre mutige Arbeit im Allgemeinen mit stehenden Ovationen gefeiert wurde.

Quelle: intaktiv e.V.

Die iranischstämmige Mina Ahadi, Vorsitzende des
Zentralrats der Ex-Muslime, bei ihrem gefeierten Vortrag.