„Beschneidung“ von Jungen

Vorhautamputation

Männliche Genitalverstümmelung


Was bedeutet „Beschneidung“?

Bei der sogenannten Beschneidung von Jungen (medizinisch auch Zirkumzision) wird die Penisvorhaut, die normalerweise die Penisspitze (Eichel) umschließt, teilweise oder vollständig entfernt.

Bei sehr kleinen Jungen ist es allerdings nicht mit dem bloßen Abschneiden der Vorhaut getan. Bei ihnen ist die Vorhaut noch fest mit der Eichel verklebt und diese Verklebungen müssen abgerissen werden, bevor die Vorhaut amputiert werden kann.


Gründe für Vorhautamputationen

Vorhautamputationen werden meistens im Kindesalter und selten aus echter medizinischer Notwendigkeit durchgeführt. Viele Operationen finden aus religiösen (Judentum, Islam) oder kulturellen (Afrika, Philippinen) Gründen statt. In den USA und einigen anderen englischsprachigen Ländern gibt es die „routinemäßige Neugeborenenbeschneidung“, die vorgeblich erfolgt, um die Hygiene zu verbessern und Krankheiten wie HIV und Krebs vorzubeugen. Allerdings ist es nicht erwiesen, dass eine Vorhautamputation wirklich vor diesen Krankheiten schützt. Regelmäßiges Waschen und Safer Sex sind wesentlich zuverlässiger.

In Deutschland ist die Vorhautverengung (Phimose) einer der häufigsten Gründe für Vorhautamputationen. Allerdings ist auch bei einer „Phimose“ eine Operation meistens nicht notwendig. Eine enge, nicht zurückziehbare Vorhaut ist bei Kindern und bis in die Pubertät hinein normal und muss gar nicht behandelt werden, wenn sie keine Probleme verursacht. Falls eine Behandlung erforderlich ist, helfen in den meisten Fällen Salben und vorsichtige Dehnübungen. Scheitern diese, gibt es vorhauterhaltende Operationsmethoden (z. B. Triple Inzision). Auch andere Vorhautprobleme wie Vorhautverklebungen oder Entzündungen können fast immer ohne Amputation behoben werden.


Folgen der Vorhautamputation

Die Vorhaut ist eine doppellagige Hautfalte aus einer inneren Schleimhaut und einem äußeren Teil, der aus normaler Penisschafthaut besteht. Auseinandergefaltet ist sie mit 75 bis 100 cm² etwa so groß wie ein 10-Euro-Schein und macht damit etwa die Hälfte der Penishaut aus.

Mit zahlreichen spezialisierten Nervenendigungen ist die Vorhaut der sensibelste Teil des männlichen Körpers, insbesondere ihre Spitze. Sie trägt damit wesentlich zum sexuellen Empfindungsvermögen bei, das nach ihrem Verlust erheblich vermindert und verarmt ist.

Auch die Funktion der Vorhaut ist wichtig für die Sexualität, beispielsweise durch die Möglichkeit, sich durch Hin- und Herbewegen der Vorhaut selbst zu befriedigen. „Beschnittene“ Jungen und Männer benötigen zur Selbstbefriedigung daher oft Gleitmittel.

Nach einer Vorhautamputation ist außerdem die Eichel ungeschützt. Durch Reibung überzieht sich ihre Oberfläche, die eigentlich wie die innere Vorhaut eine Schleimhaut ist, allmählich mit einer Art Hornhaut. Dadurch geht auf Dauer noch mehr sexuelle Sensitivität verloren.

Auch das hochempfindliche Vorhautbändchen an der Unterseite der Eichel (Frenulum) wird bei einer Vorhautamputation häufig verletzt und manchmal auch ganz entfernt.

Insgesamt verbleibt nach einer Vorhautamputation nur noch etwa ein Viertel der ursprünglichen Sensitivität des Penis. Als Kind „beschnittene“ Männer geben dennoch oft an, sich nicht beeinträchtigt zu fühlen: Sie haben schlicht keinen Vergleich. Männer, denen die Vorhaut im Erwachsenalter entfernt wurde, empfinden den Unterschied vor und nach der Operation oft als sehr drastisch und vergleichen ihn z. B. mit dem Sehen in Farbe und in Schwarz-Weiß.


Schmerzen und Trauma

Aufgrund der hohen Sensitivität der Vorhaut ist ihre Amputation eine sehr schmerzhafte Operation. Ältere Jungen erhalten zumindest in modernen Kliniken dafür in der Regel eine Vollnarkose, aber die Schmerzen nach der Operation bedeuten dennoch großes Leid für die Kinder.

Ein großes Problem ist die Betäubung bei Vorhautamputationen an Neugeborenen: Eine Vollnarkose ist in diesem Alter nicht möglich und alle anderen Methoden sind vollkommen unzureichend. Durch das extreme Schmerzerlebnis entsteht ein unterbewusstes Trauma.

Auch für ältere Jungen ist eine Vorhautamputation traumatisch. Neben den postoperativen Schmerzen verstehen sie oft den Grund für diesen Übergriff auf ihren Körper nicht und fühlen sich von ihren Eltern, von denen sie Schutz erwarten, verraten. Durch die radikale Veränderung des Penis fühlen sich viele von ihnen nicht mehr als richtige Jungen.

     
Intakter und „beschnittener“ Penis
(Quelle: Flyer „Mann, oh Mann“ des BVKJ)


Risiken der Vorhautamputation

Die Amputation der Vorhaut hat wie jede andere Operation Risiken. „Kleinere“ Probleme sind z. B. unästhetische Narbenentwicklung oder eine Verengung der Harnröhrenöffnung (Meatusstenose). Durch schwerwiegende Operationsfehler können jedoch auch Eichel oder Penis ganz verlorengehen. Auch lebensgefährliche Blutungen oder Infektionen sind möglich. Immer wieder sterben auch in modernen Krankenhäusern Jungen nach Vorhautamputationen.


Männliche Genitalverstümmelung

Eine Vorhautamputation erfolgt meistens gegen den Willen bzw. ohne freie Entscheidung des Betroffenen und richtet erheblichen körperlichen, sexuellen und psychischen Schaden an. Sie kann und sollte daher als männliche Genitalverstümmelung (MGM) bezeichnet werden.

Auch die Vergleichbarkeit mit weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) ist gegeben. Zwar gibt es extrem zerstörerische Formen von FGM, etwa die pharaonische „Beschneidung“ oder Infibulation, die etwa 15 % der FGM-Fälle ausmacht. Andere, weit verbreitete Formen sind allerdings weniger invasiv. Bei der Sunnah-Variante wird z. B. die Klitorisvorhaut entfernt, die sich aus demselben embryonalen Gewebe wie die Penisvorhaut entwickelt. Andere Formen bestehen aus Einritzen oder -stechen der Klitoris.

Sollen Kinder weltweit effektiv geschützt werden, dürfen Genitalverstümmelungen daher nicht in Abhängigkeit von ihrer Schädlichkeit oder der Art und Menge des amputierten Gewebes verdammt oder gutgeheißen werden. Vielmehr muss der Verstoß gegen ihre Rechte auf Selbstbestimmung und genitale Unversehrtheit allgemein geächtet werden.


Religionsfreiheit

Das Prinzip der genitalen Selbstbestimmung steht nicht im Widerspruch zur Religionsfreiheit. Religiöse „Beschneidungen“ werden damit nicht verboten, sondern lediglich in das Erwachsenenalter verschoben, so dass der Betroffene selbst darüber entscheiden kann, ob er diesen Schritt im Namen seines Glaubens tun will. Echte Religionsfreiheit, die auch die Freiheit von Religion umfasst, wird so erst hergestellt.

Der Wandel in den Religionsgemeinschaften ist ein langwieriger Prozess und insbesondere die Pioniere sehen sich einem starken sozialen Druck ausgesetzt, dem Gebot und der Tradition zu folgen. Dennoch verzichten auch viele jüdische Eltern mittlerweile auf die „Beschneidung“ ihrer Söhne und feiern statt der traditionellen Brit Mila eine Brit Shalom, die ohne körperlichen Eingriff auskommt und den Penis intakt lässt.