Expertenanhörung am 3. Juni 2019 zum Thema Genitalverstümmelung

CDU, FDP, SPD und Bündnis 90 / Die Grüne wollen „Genitalverstümmelung an Kindern, Mädchen und Frauen entschieden entgegentreten“, vergessen in ihren Anträgen aber mehr als die Hälfte aller Kinder 

Der nordrhein-westfälische Landtag hat am 14.3.19 beschlossen, zwei Anträge zum Thema Genitalverstümmelung, die die NRW-Landtagsfraktionen von CDU/FDP und AFD im Februar an den Landtag NRW gerichtet hatten, federführend dem Ausschuss für Gleichstellung und Frauen zu übertragen. Die Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie der Rechtsausschuss werden dabei beratend mitwirken. Zwischenzeitlich sind auch die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/die Grünen dem Antrag von CDU und FDP beigetreten. 
Dieser hat zwar den verheißungsvollen Titel „Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung – Verletzungen von Körper und Seele von Kindern, Mädchen und Frauen entschieden entgegentreten“. Der darauf folgende Text fokussiert aber leider nur auf Genitalverstümmelungen an Mädchen. Er vergißt dabei also mehr als die Hälfte aller von der Menschenrechtsverletzung der Genitalbeschneidung betroffenen Kinder. Er ist nicht mehr als die übliche und zudem ungenau recherchierte Mainstream-Argumentation mit der altbekannten Polarisierung „weibliche Genitalverstümmelung ist schlimm, Jungenbeschneidung harmlos, also kein Thema“. Die Anträge greifen weder die seit Jahren in Fachkreisen laufenden juristischen Diskussionen über die problematische menschenrechtliche Dimension des einseitigen Schutzes nur der Mädchen auf, noch haben sie die neueren medizinischen Erkenntnisse zur Jungenbeschneidung etwa aus der Phimoseleitlinie aufgenommen. Und selbst bei der Betrachtung der Mädchenbeschneidung greifen sie viel zu kurz, indem sie immer noch völlig verkennen, dass Mädchen- und Jungenbeschneidung Abrichtungsrituale sind, die aus patriarchal strukturierten Gesellschaftsordnungen stammen und also zutiefst zusammen gehören und sich gegenseitig sogar bedingen. So wird man trotz offenbar gutem Willen die Mädchenbeschneidung nicht in den Griff kriegen. 
Wenigstens hat nun der Landtag NRW beschlossen, eine öffentliche Expertenanhörung durchzuführen. Doch leider wurden auch als Experten überwiegend nur VertreterInnen des Runden Tisches gegen die Mädchenbeschneidung eingeladen. Ein Hoffnungsschimmer aber bleibt: die Frauenunion der CDU  ist offenbar schon einen kleinen Schritt weiter (siehe Artikel: „Frauenunion NRW fordert Aufklärungskampagne zu Phimose …). Sie haben bei Ihrer Vollversammlung im März einstimmig für eine Aufklärungskampagne zur Phimoseaufklärung votiert. Wir sind gespannt, ob die in der CDU unterrepräsentierten Frauen sich werden durchsetzen können. 
Die Expertenanhörung im Düsseldorfer Landtag soll 3. Juni 2019 von 14:30 bis 16:30 h abgehalten werden soll. Bürger und Bürgerinnnen können ihr nach dem Vorzeigen ihres Personalausweises beiwohnen.

Die Autorin: Renate Bernhard ist freie Journalistin.  Sie engagiert sich für Aufklärung über Riten und Gebräuche im patriarchalen Gesellschaftssystem.  Seit Jahren geht sie mit  ihr en Dokumentarfilmen auf Vorträge über weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Ehrverbrechen. Seit 2012 arbeitet sie auch zum Thema Jungenbeschneidung. Von 2011-2014 war sie ehrenamtlich im Vorstand von pro familia NRW wirkte dort u.a. mit an der Entwicklung von pro familia Stellungnahmen zur „Jungenbeschneidung“ und zur „Genitalen Selbstbestimmung“.  Mehr unter: www.renate-bernhard.de/mein-fachgebiet/