Das deutsche „Beschneidungsgesetz“ (3)

zu Teil 2, „Absatz 1 und 2 des Gesetzes“

Fazit

In Bezug auf die körperliche Unversehrtheit ihrer Genitalien werden Jungen durch § 1631 d BGB vollkommen schutzlos gestellt. Ihre Eltern können nach Belieben entscheiden, ob, wann und warum sie ihren Söhnen die Vorhaut entfernen lassen. Konsequenzen müssen sie kaum fürchten.

Justitia-nachdenklichWährend nicht einsichts- und einwilligungsfähige minderjährige Jungen dieser „Beschneidungs“-Praxis völlig wehrlos ausgesetzt sind, haben selbst ältere Jungen kein verbrieftes Vetorecht, d. h. sie müssen nicht gefragt werden und nicht zustimmen. Sie können sich allenfalls durch körperliche Gegenwehr oder – sofern sie den Mut und die Kenntnisse dazu haben – durch Einschaltung des Jugendamtes, der Polizei oder eines Gerichts wehren.

Ist ein Eingriff gemäß § 1631 d BGB erfolgt, haben betroffene Jungen auch später als Volljährige keine Möglichkeit, gegen die ohne ihre Zustimmung oder sogar gegen ihren Willen vorgenommene „Beschneidung“ zu klagen, weil der Eingriff entweder nach geltendem Recht erfolgte oder die Tat bereits verjährt ist. Damit entfallen auch mögliche Schadenersatz- oder Schmerzensgeldansprüche und die Möglichkeit, das „Beschneidungsgesetz“ auf diesem Weg vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.

Diese Gesetzgebung steht im krassen Gegensatz zum Umgang mit anderen Übergriffen auf kindliche Genitalien und die genitale Selbstbestimmung.

So wurde im Jahr 2013 die weibliche Genitalverstümmelung unter § 226 a als gesonderter Straftatbestand in das Strafgesetzbuch (StGB) aufgenommen, um eine strengere Verfolgung zu ermöglichen.

Bei sexuellem Missbrauch wurde die Verjährungsfrist verlängert, damit die Betroffenen klagen können, wenn sie dazu in der Lage sind.

Das deutsche „Beschneidungsgesetz“ verstößt in eklatanter Weise sowohl gegen nationale wie internationale Rechtsnormen und Übereinkommen, nämlich gegen:

  • das Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG)
  • das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 GG
  • das Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 3 Absatz 1 GG („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“), die Gleichberechtigung der Geschlechter (Absatz 2) und das Verbot der Diskriminierung u. a. wegen des Geschlechtes (Absatz 3)
  • die Religionsfreiheit des Kindes (Artikel 4 Absatz 1 GG)
  • die Regelung des Artikels 136 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) als fortgeltendes Recht in Verbindung mit Artikel 140 GG: „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“
  • die Regelung des Artikels 136 Absatz 4 WRV als fortgeltendes Recht in Verbindung mit Artikel 140 GG: „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.“
  • 1631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): „(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“
  • Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention: „Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“
  • Artikel 19 UN-Kinderrechtskonvention: „(1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen…“
  • Artikel 24 UN-Kinderrechtskonvention: „Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.“
  • Artikel 37 UN-Kinderrechtskonvention: „Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass kein Kind der Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen wird…“

1631 d BGB wurde trotz dieser Verstöße erlassen, da er politisch gewünscht war. Und trotz dieser Verstöße ist es sehr schwierig, juristisch gegen das „Beschneidungsgesetz“ vorzugehen, da der Weg vor das Bundesverfassungsgericht eine direkte persönliche Betroffenheit erfordert. Die von § 1631 d BGB unmittelbar Betroffenen sind jedoch in aller Regel entweder einverstanden (Eltern, Beschneider) oder zu jung für juristische Schritte (Jungen).

Die beste Chance für eine Überprüfung des § 1631 d BGB durch das Bundesverfassungsgericht ergibt sich daher aus einem Rechtsstreit zwischen Eltern, die sich nicht einig über die „Beschneidung“ ihres Sohnes sind. Auch ein solcher Fall muss jedoch zahlreiche Kriterien erfüllen, um durch die Instanzen immer weiter nach oben verwiesen zu werden.

So ist – zumindest bis auf Weiteres – das Fortbestehen dieses verfassungswidrigen Gesetzes möglich.

Gerechtigkeit_mittel

Position von intaktiv zu § 1631 d BGB

intaktiv tritt für das Recht auf genitale Selbstbestimmung ein.

Wer ein Kind an dessen Geschlechtsorganen manipuliert oder verletzt – ganz gleich, ob es um ein Mädchen oder einen Jungen geht – der verletzt Körper, Seele und elementare Rechte dieses Kindes und macht das Kind zum Objekt fremder Interessen und Bedürfnisse.

Es gibt nur eine Rechtfertigung für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit Minderjähriger, mithin auch für die Beschneidung von Jungen wie auch jede andere Operation, nämlich eine zweifelsfreie und strengen rechtlichen Vorgaben entsprechende medizinische Indikation.

Es waren Erwachsene, die dafür gesorgt haben, dass Kinder in unserem Land als Persönlichkeiten und damit als Inhaber von Grund-, Menschen- und Kinderrechten verstanden werden.

Es waren Erwachsene, die es mit § 1631 d BGB ermöglicht haben, diese Rechte für eine bestimmte Gruppe von Kindern – nämlich Jungen – wieder auszuhebeln, um ihre eigenen Interessen – die Interessen Erwachsener – an ihnen zu verwirklichen.

Und es sind Erwachsene – Mütter, Väter, Ärzte, Pädagogen, Menschen mit Herz und Empathie – die dafür kämpfen, dass dieses Unrecht ein baldiges Ende findet, dass Jungen wie Mädchen ihr Recht auf genitale Selbstbestimmung ohne Wenn und Aber gewährt wird und sie vor jeglichen medizinisch unnötigen Eingriffen, vor Manipulationen und Verletzungen ihrer Geschlechtsorgane geschützt werden.