zu Teil 3, „Durchführungsbedingungen und Folgen“
Die Gründe und Rechtfertigungen für die seit Jahrtausenden in verschiedenen Teilen der Welt existierenden FGM-Praktiken sind vielfältig.
Als überlieferter Brauch ist FGM ein archaisches Symbol für die Zugehörigkeit zu den erwachsenen Frauen.
Auch mit Aberglauben ist die Praktik verbunden. Beispielsweise existiert die Vorstellung, dass die Klitoris giftig ist und bei der Geburt das Kind oder beim Geschlechtsverkehr den Mann töten kann. Ein anderer Mythos ist, dass die intakte Klitoris immer weiter wachsen würde.
In den FGM praktizierenden Gesellschaften wird auch davon ausgegangen, dass die Eingriffe zu einer besseren Hygiene führen. Verstümmelte weibliche Genitalien stellen dort zudem das Schönheitsideal dar, da sie dort aufgrund ihrer Verbreitung die Normalität sind.
Oft werden auch religiöse Überzeugungen für die Durchführung von FGM angeführt, obwohl die Praktiken vermutlich älter sind als die monotheistischen Religionen. Innerhalb dieser wird FGM in erster Linie von Muslimen praktiziert, aber auch von manchen christlichen Gruppierungen und äthiopischen Juden. Im Islam sehen manche Auslegungen eine FGM vom Typ I A („Sunnah-Beschneidung“) aufgrund von Hadithen als religiöse Pflicht an. Im Koran wird die weibliche Genitalverstümmelung – wie auch die Vorhautamputation bei Jungen – nicht erwähnt.
Die häufig genannte Zielsetzung seitens der Männer, die weibliche Sexualität zu kontrollieren und die sexuelle Lust zu verringern, um Jungfräulichkeit, Keuschheit und ehelicher Treue zu erhalten, wird heute teilweise hinterfragt. Jedoch riskieren nicht verstümmelte Mädchen und Frauen, ausgegrenzt zu werden und keinen Ehemann zu finden, von dem sie in den betreffenden Gesellschaften wirtschaftlich und sozial vollständig abhängig sind.
Wahrnehmung durch die Betroffenen
Die sozialen und psychologischen Auswirkungen von FGM sind ausgesprochen komplex und erschweren die Abschaffung der Praktik.
Obwohl sie selbst die Opfer sind und erhebliches Leid ertragen müssen, sind es oftmals Frauen selbst, die auf der Beibehaltung der Tradition bestehen und die Eingriffe auch durchführen. Für viele der Betroffenen ist FGM Normalität und gehört zum Frau-Sein dazu. Sie sehen sich selbst nicht als verstümmelt und manche empfinden diese Bezeichnung sogar als beleidigend und verletzend.
Auch Frauen, die FGM ablehnen, ziehen daraus nicht notwendigerweise die Konsequenz, ihre Töchter nicht verstümmeln zu lassen. Neben dem gesellschaftlichen Druck spielt hierbei das erlittene Trauma eine wichtige Rolle: Das eigene Leid wird verdrängt und gerechtfertigt, indem es an die Tochter weitergegeben wird.
Daher reicht ein Verbot – wie es mittlerweile in einigen Ländern mit FGM-Tradition existiert – nicht aus, um die Verstümmelungspraktiken abzuschaffen. Es ist vielmehr eine langwierige sensible Aufklärungsarbeit erforderlich, die die gesamte Gesellschaft einbezieht.