Kein „Beschneidungsfest“ auf KiKA!
Die Humanist News berichten, dass der deutsche Kindersender „KiKA“ plant, am kommenden Sonntag, 19.01.2014 in der Reihe „Schau in meine Welt“ ein Beschneidungsfest auszustrahlen. Selbstverständlich nicht im Zusammenhang mit einer kritischen Diskussion der sogenannten Jungenbeschneidung – oder Vorhautamputation – , sondern ausschließlich verharmlosend und romantisierend.
intaktiv protestiert gegen diese Sendung, die Kinderrechte mit Füßen tritt, und ruft zu höflichen aber bestimmten Beschwerden an den KiKA – vor und ggf. nach der Ausstrahlung – auf.
Ankündigung von „Tahsins Beschneidungsfest“ bei KiKA
Pressemitteilung von KiKA zur Sendung
Update 17.01.2014: Das Schreiben von intaktiv an den KiKA.
Update 18.01.2014: Das (abwiegelnde) Antwortschreiben des KiKA.
Update 19.01.2014: Die Reaktion von intaktiv auf die Ausstrahlung und den Webtalk.
Update 23.04.2014: Erneute Antwort des KiKA.
Mit Datum vom 24.01.2014 haben wir eine Antwort des KiKA auf unser zweites Schreiben nach der Ausstrahlung von „Tahsins Beschneidungsfest“ erhalten. Unterzeichnet von Programmgeschäftsführer Michael Stumpf persönlich zeigt der KiKA darin, dass er die Kritikpunkte von intaktiv nicht verstanden hat oder nicht verstehen will und offensichtlich auch keinen gesteigerten Wert auf guten Journalismus legt.
Antwortschreiben des KiKA als PDF
Update 19.01.2014: Die Reaktion von intaktiv auf die Ausstrahlung und den Webtalk:
Trotz vielfältiger Proteste ist die Aussstrahlung von „Tahsins Beschneidungsfest“ wie angekündigt am 19.01.2014 um 13:30 auf KiKA erfolgt und die Sendung verlief so, wie wir es erwartet und befürchtet hatten: Ausschließlich befürwortend und verharmlosend, die blutige und schmerzhafte Realität einer Vorhautamputation wurde ausgeblendet.
Auch der kurzfristig anberaumte Webtalk im Anschluss an die Sendung konnte unsere Bedenken und Kritikpunkte nicht ausräumen, er bestätigte sie vielmehr: Bei den teilnehmenden Experten handelte es sich offensichtlich um handverlesene Beschneidungsapologeten, die weder die von der Dokumentation gelassenen Informationslücken aufklärend schlossen noch auf die Kinderrechtsproblematik eingingen oder den in der Dokumentation in positivem Licht gezeichneten sozialen Druck auf den Jungen hinterfragten. Stattdessen verharmlosten sie die sogenannte Jungenbeschneidung weiter und priesen sie sogar wegen ihrer angeblichen Gesundheitsvorteile an. Beschneidungskritiker wurden diffamiert, indem sie in die Nähe von Rassisten gerückt wurden.
Im zugehörigen Zuschauerchat (den wir hier dokumentiert haben) meldeten sich andererseits fast nur kritische Stimmen zu Wort, auf deren Fragen und Argumente die Experten jedoch nur sporadisch und abwiegelnd reagierten. Das im Chat geäußerte Leid von persönlich Betroffenen wurde negiert. Wie wir von mehreren Chatteilnehmern erfahren haben, wurden zudem besonders kritische Beiträge gar nicht erst freigeschaltet.
Die „KiKA-Affäre“ folgt damit den gleichen Mechanismen, die auch die Beschneidungsdebatte im Jahr 2012 prägten: Einseitige und unvollständige Informationen von offizieller Seite, Diskreditierung und Zensur der kritischen, wahrhaftig aufklärenden Stimmen aus der Bevölkerung.
intaktiv hat dem KiKA selbstverständlich erneut geschrieben:
Sehr geehrter Herr Stumpf, sehr geehrte Damen und Herren,
zunächst einmal vielen Dank für Ihre Antwort auf unsere Nachricht vom 15.01.2014, auch wenn diese uns inhaltlich genausowenig befriedigt wie die heute erfolgte Ausstrahlung der Dokumentation „Tahsins Beschneidungsfest“ und der anschließende Webtalk.
Sie schreiben in Ihrer Antwort, dass die Dokumentation die Lebenswelt und Innensicht des Jungen Tahsin unverfälscht darstellt. Das mag sein, aber sie hat sie nicht vollständig dargestellt, und damit wird der Zuschauer eben nicht in die Lage versetzt, sich seine eigene Meinung über den Brauch der sogenannten Beschneidung von Jungen zu bilden.
Um dies zu ermöglichen und tatsächlich vollständig und unverfälscht die Lebenswelt von Tahsin darzustellen, hätte die Dokumentation nicht verschämt unmittelbar nach dem Eingriff, als die Kinder noch unter dem Einfluss der örtlichen Betäubung standen, abbrechen und erst eine Woche später, nachdem die schlimmsten akuten physischen und psychischen Nachwirkungen abgeklungen waren, wieder einsetzen dürfen. Sie hätte vielmehr auch folgendes zeigen müssen:
- das Erleben des Jungen, wenn nach der Operation die örtliche Betäubung abklingt
- das Erleben des Jungen, wenn er nach der Operation zum ersten Mal zur Toilette geht
- das Erleben des Jungen, wenn er seinen geschwollenen und blutigen Penis zum ersten Mal ohne Verband sieht
- das Erleben des Jungen in den ersten Tagen (und Nächten) nach der Operation
- das Erleben des Jungen, wenn er endgültig versteht, was nun anders ist (was er gemäß seiner eigenen Aussage vorab nicht wusste)
Insofern gehen die Argumente der Expertenrunde im Webtalk, dass die jungen Zuschauer durch die Sendung nicht verstört würden, da ja kein Blut und keine Genitalien gezeigt würden, an unseren Kritikpunkten vorbei. Natürlich ist die gezeigte Dokumentation nicht verstörend für Kinder, sie ist aber auch nicht ehrlich zu ihnen, da sie nicht alles zeigt, was Teil einer Beschneidung ist. Stattdessen hinterlässt sie den Eindruck, das schlimmste daran wäre ein kurzer Pieks bei der Betäubungsspritze und dass man sich einige Tage später für Fotos schick machen muss.
Die Kinder wurden durch die Dokumentation somit nicht, wie KiKA-Programmgeschäftsführer Michael Stumpf im Webtalk betonte, neutral informiert, so dass sie die Welt verstehen lernen und sich eine eigene Meinung bilden können. Sie wurden vielmehr gezielt getäuscht und verdummt, in eine bestimmte, gewünschte Richtung gedrängt – nämlich Jungenbeschneidung für harmlos, vielleicht sogar für eine ganz tolle Sache zu halten.
Im anschließenden Webtalk wurde diese Täuschung und Verdummung für die erwachsenen Zuschauer fortgesetzt, indem ausschließlich Befürworter der sogenannten Jungenbeschneidung zu Wort kamen. Statt die von der Dokumentation gelassenen Informationslücken aufklärend zu schließen, verbreiteten sie weiter falsche, unvollständige und verharmlosende bis verherrlichende Informationen über die Vorhautamputation. Sie gingen weder auf die Kinderrechtsproblematik noch ausreichend auf die von den offensichtlich besser aufgeklärten Chatteilnehmern vorgebrachten Fragen und Argumente ein. Auch den in der Dokumentation in positivem Licht gezeichneten sozialen Druck auf den Jungen hinterfragten sie nicht.
Eine derartige ausschließlich positive Darstellung und Diskussion wäre bei anderen, „befremdlichen und polarisierenden“ Bräuchen anderer Kulturen – beispielsweise der Verheiratung eines 11jährigen Mädchens mit einem erwachsenen Mann im Jemen – undenkbar.
Wenn Sie der Meinung sind, dass das Filmen der oben aufgelisteten Momente einen zu großen Eingriff in die Intimsphäre des Jungen dargestellt hätte – dann sollten Sie darüber nachdenken, ob es nicht ein viel größerer und somit zu verurteilender Eingriff in die Intimsphäre des Jungen war, ihn einer medizinisch nicht notwendigen Vorhautamputation zu unterziehen.
Und wenn Sie der Meinung sind, dass das Ausstrahlen dieser Momente eine zu große Zumutung für Ihre jungen Zuschauer dargestellt hätte – dann sollten Sie darüber nachdenken, ob es nicht eine viel größere und somit zu verurteilende Zumutung für ein Kind ist, solche Momente am eigenen Leib erleben zu müssen.
In diesem Sinne fordern wir Sie als gemeinnütziger Verein, der sich für genitale Selbstbestimmung aller Menschen und insbesondere wahrheitsgemäße gesellschaftliche Aufklärung über alle Formen von Genitalverstümmelungen einsetzt, erneut auf, eine Sendung mit wahrhaftiger Aufklärung und Information zu konzipieren und als Gegengewicht zu „Tahsins Beschneidungsfest“ auszustrahlen.
Weiterhin fordern wir Sie dazu auf, dieser neuen Dokumentation erneut einen Webtalk folgen zu lassen, mit einer ausgewogeneren Expertenrunde, in der auch die Kritiker von sogenannter Jungenbeschneidung ausführlich zu Wort kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Meike Beier
Update 18.01.2014: Das (abwiegelnde) Antwortschreiben des KiKA:
Sehr geehrte Frau Beier,
vielen Dank für Ihre E-Mail.
Sie beziehen sich auf die Ankündigung der Sendung „Tahsins Beschneidungsfest“ aus der Reihe „Schau in meine Welt!“ und kritisieren die geplante Ausstrahlung.
„Schau in meine Welt!“ ist ein Format, das – wie es der Titel bereits ankündigt – unsere Zuschauer einlädt, Lebenswelten von Kindern in der ganzen Welt kennenzulernen. Dabei stellen die Protagonisten ihre Lebenswelt selbst vor: Gezeigt wird die Innensicht und das, was für die Kinder selbstverständlich und Alltag ist: Saskham hat uns seine Welt als Hinduist in Berlin miterleben lassen. Sanjanya zeigte uns sein Leben als Mönch im Buddhistischen Kloster. Omer lud uns zu seiner Bar Mitzwa-Feier in Jerusalem ein. Und auch Lydia hat als Aborigine in Australien religiöse Überzeugungen, die dem hiesigen Zuschauer nicht geläufig sind.
In der von Ihnen angesprochenen Sendung berichtet Tahsin, ein elfjähriger muslimischer Junge, wie er sich zusammen mit seiner Familie auf das aus seinem religiösen Kontext heraus wichtige Sünnet-Fest in der Türkei vorbereitet. Er lässt uns teilhaben an seinen Gedanken, an seiner Vorfreude, an seinen Bedenken, und bietet jedem Einzelnen an, einen unverstellten Blick in sein Leben zu erhalten. Für ihn ist das Beschneidungsfest eines der Ereignisse seines Lebens, das er nie vergessen wird.
Bräuche und Traditionen anderer Kulturen können aus hiesiger Sicht befremdlich wirken und polarisieren. Es obliegt dem Zuschauer selbst, zu sagen, ob er diese religiöse Überzeugung verstehen, nachvollziehen oder ablehnen möchte. Unser Anliegen ist es, die Möglichkeit zu bieten, einen Einblick in diese Lebenswelt zu gewähren, denn erst diese erlaubt es dem Zuschauer, eine eigene Haltung zu diesem Thema zu entwickeln – Grundlage für eine sachliche Diskussion und kulturelle Toleranz.
Sie sprechen auch die rechtliche Situation in Deutschland an. Tahsin berichtet über sein Leben als Moslem in der Türkei. Regelungen und Bräuche sind andere als hierzulande, werden von uns oft als fremdartig wahrgenommen. Ganz bewusst fiel hier die Entscheidung, dieses Thema in Form einer Dokumentation anzubieten – nur diese bietet die Möglichkeit, der unverfälschten Einsicht.
Die Dokumentation „Tahsins Beschneidungsfest“ wird am 19.01.2014 um 13:30 Uhr bei KiKA ausgestrahlt. Begleitend bieten wir unseren Zuschauern die Möglichkeit, sich zu diesem Thema auszutauschen: Wir laden Sie ein, am Sonntag ab 14:00 Uhr auf www.eltern.kika.de im Webtalk Ihre Fragen zu stellen und Ihre Meinung zu teilen.
Unsere jungen Zuschauer haben die Möglichkeit, sich zeitgleich mit anderen Nutzern im Chat innerhalb unserer Community mein!KiKA austauschen.
Wir wünschen Ihnen alles Gute!
Ihr KiKA-Team
Update 17.01.2014: Das Schreiben von intaktiv an den KiKA:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich schreibe Ihnen im Namen des kürzlich gegründeten, gemeinnützigen Vereins „intaktiv e.V. – eine Stimme für genitale Selbstbestimmung“ zu Ihrer für den kommenden Sonntag geplanten Sendung „Schau in meine Welt – Tahsins Beschneidungsfest“.
Wir sind entsetzt und empört, dass der Kinderkanal ein solches Ritual, das eine Körperverletzung an einem Kind beinhaltet, austrahlen und verharmlosend und romantisierend darstellen will.
Die sogenannte Beschneidung von Jungen ohne medizinische Indikation wurde zwar in Deutschland durch das „Beschneidungsgesetz“, § 1631 d BGB vom 12.12.2012, legalisiert, nachdem ein Kölner Gericht sie im Mai 2012 für unrechtmäßig erklärt hatte. Doch dieses Gesetz ist höchst umstritten und wird u.a. von namhaften Juristen und dem Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte als grundgesetzwidrig und gegen Menschen- und Kinderrechte verstoßend kritisiert.
Religiöse „Beschneidung“ ist eine Operation, sogar eine Amputation, die ohne medizinischen Grund vorgenommen wird. Den Kindern werden dabei unnötige Schmerzen zugefügt, sie verlieren mit der Vorhaut einen auch sexuell wertvollen Teil ihrer Genitalien unwiderbringlich und sie werden Operationsrisiken ausgesetzt, die noch erheblich schlimmere Folgen bis hin zum Tod haben können. Zu feiern gibt es an einem solchen Vorgang überhaupt nichts!
Eltern mögen derzeit in der Bundesrepublik das juristische Recht haben, ihre Kinder dieser Operation zu unterziehen und sie auf diese Weise mit ihrer Religion zu kennzeichnen. Das moralisch-ethische Recht ist jedoch nicht auf ihrer Seite, sondern auf der Seite der Kinder, die Schutz benötigen, bis sie alt und erfahren genug sind, um eine solche Entscheidung selbstbestimmt treffen zu können.
Als Sender für Kinder sollten Sie daher Beschneidung ohne medizinische Notwendigkeit genauso wenig positiv darstellen wie Sie ihren kleinen Zuschauern die Verstümmelung eines afrikanischen Mädchens, das Kupieren von Hundeschwänzen und -ohren oder die betäubungslose Kastration von Ferkeln befürwortend näherbringen würden.
Genauso wenig sollten Sie dem psychosozialen Druck Vorschub leisten, der auf Jungen ausgeübt wird, damit sie sich auch gegen ihren Willen der Beschneidung unterwerfen, indem ihnen eingeredet wird, dass sie Feiglinge und keine richtigen Männer wären, solange sie nicht beschnitten sind.
Vielmehr sollten Sie die Kinder altersgemäß über den wahren Charakter der sogenannten Beschneidung als eine Form von männlicher Genitalverstümmelung aufklären. Sie sollten sie über ihre aus der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und der Kinderrechtskonvention abgeleiteten Rechte informieren und sie ermutigen, diese einzufordern: Auf Selbstbestimmung und auf einen unversehrten Körper, unabhängig von Geschlecht, Religion oder Herkunft.
Wir forden Sie daher auf, die geplante Sendung zurückzuziehen und eine neue Sendung mit wahrhaftiger Aufklärung und Information – im Sinne der Kinder, der Kinderrechte und des Kinderschutzes – zu konzipieren.
Mit freundlichen Grüßen
Meike Beier